Matschie im OTZ-Leser-Interview

Veröffentlicht am 25.07.2009 in Allgemein

Herausforderer Christoph Matschie, Spitzenkandidat der SPD zur Thüringer Landtagswahl, will bessere Löhne und mehr Gerechtigkeit. Herr Matschie, wenn Sie Ministerpräsident würden, was wären Ihre ersten Entscheidungen?

Als erstes würde ich in der Staatskanzlei alle Fenster weit öffnen, um frische Luft herein zu lassen. Aber, Spaß beiseite. Ich würde als erstes dafür sorgen, dass in den Kindertagesstätten die fehlenden 2000 Erzieherinnen eingestellt werden. Dann würde ich ein Thüringer Mindestlohngesetz auf den Weg bringen. Stundenlöhne von 3,50 Euro sind unakzeptabel, ebenso, dass Menschen trotz Arbeit auf Unterstützung von Hartz IV angewiesen sind. Und drittens würde ich mich für eine höhere Tarifbindung der Thüringer Unternehmen einsetzen. Wir müssen das Lohnniveau erhöhen, denn nur so können wir die Abwanderung gut ausgebildeter Menschen aus unserem Land stoppen.

Die Krise wird Thüringen deutliche Einbußen bei den Steuereinnahmen bescheren. Wo würden Sie sparen?

Wer wie Ministerpräsident Althaus jetzt Steuersenkungen verspricht, der belügt die Wähler. Die SPD hat den Vorschlag gemacht, eine Börsenumsatzsteuer zu erheben und den Spitzensteuersatz zu erhöhen, so könnten wir mehr Geld zum Beispiel in Bildung stecken. Erhebliche Einsparungen können auch durch eine Gebiets- und Verwaltungsreform in Thüringen erzielt werden. In den Verwaltungen werden in den nächsten Jahren viele Beschäftigte in Rente gehen, ein Umbau ist daher ohne Entlassungen möglich. Wenn alles bleibt, wie es ist, dann müssen in Zukunft im Freistaat immer weniger Menschen immer mehr für Verwaltung bezahlen.

Ulrich Unger: Die SPD hat im Bundestag am 28. Mai komplett gegen die Ostrentenerhöhung gestimmt, wie ist ihre Stellung dazu, Herr Matschie?

20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist es Zeit, dass wir eine Angleichung der Rentensysteme in Ost und West erreichen. Bei bestimmten Renten-Sonderregelungen müssen wir dringend nachbessern, das ist allerdings keine Frage einzelner Parteien, sondern eine Ost-West-Auseinandersetzung.

Alfred Lau: Bei den so genannten Intelligenzrenten hat man mit einer unsinnigen Stichtagsregelung diese Renten für ungesetzlich erklärt, was meinen Sie dazu?

Soweit ich weiß, haben Sozialgerichte das Ganze gestoppt. Jetzt ist eine politische Entscheidung notwendig. Der jetzige Zustand ist unbefriedigend.

Mit der vom Land gewollten ICE-Strecke über Erfurt werden 2016 Jena und Saalfeld vom schnellen Netz der Bahn abgekoppelt. Für die Universitäts- und Industriestadt Jena ist das ein großer Nachteil. Was lässt sich daran noch ändern?

Jena darf nicht vom ICE-Verkehr abgekoppelt werden. Wir werden mit der Bahn reden. Es muss nicht jeder ICE über Erfurt fahren. Die SPD setzt sich auch für eine Verbesserung der Mitte-Deutschland-Schiene ein. Entlang der Städtekette sollte es einen S-Bahn-Takt geben.

Sie haben immer wieder die Bildungspolitik der CDU kritisiert und treten für ein längeres gemeinsames Lernen ein – trotz der guten PISA-Ergebnisse Thüringer Schüler?

Die PISA-Ergebnisse zeigen nicht alles. Wir wissen, dass Kinder aus ärmeren Familien größere Probleme in der Schule haben. Auch hat Thüringen mit sieben Prozent die höchste Quote an Kindern in Förderschulen sowie zu viele Kinder, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Die frühe Trennung nach der 4. Klasse ist für viele Kinder eine Sackgasse, die Schulentscheidung hängt oft vom Status der Eltern ab.

Ulrike Leidenfrost aus Camburg muss im Saale-Holzland-Kreis oft monatelang und jährlich um die Genehmigung einer Integrationshilfe für ihre behinderte Tochter kämpfen. In Jena funktioniere dies sehr viel besser. Sie fragt: Warum gibt es solche Chancenungleichheiten?

Bildung ist ein Menschenrecht und Kinder mit Handicap brauchen unsere bestmögliche Unterstützung, damit sie optimal gefördert werden. Der Saale-Holzland-Kreis ist keine strukturschwache Region. Wir müssen in diesem Bereich für gleiche Standards sorgen.

Anne Armbrecht: Wenn es um die Sportförderung geht, wie stehen Sie zur Unterstützung für eine Jenaer Fußballarena?

Jena braucht ein neues Stadion. Doch gebaut werden muss es, auch das in Erfurt, mit Sponsorengeldern. Landesförderung kann es nicht geben, wenn nur ein Klub die Einrichtung nutzt.

Studentin Katrin Martin: Die SPD ist gegen Studiengebühren. Doch an der Uni Jena sind Vorlesungen ständig überfüllt, was wollen Sie dagegen tun?

Wir wollen keine zusätzlichen finanziellen Hürden für ein Studium aufbauen. Gleichzeitig müssen wir für die ausreichende Finanzierung der Hochschulen sorgen, um Studenten gute Bedingungen zu bieten. Unsere Hochschulen sind wichtig, um junge Leute ins Land zu holen.

Stephan Wilfert: Thüringen ist im Bereich von Produkten und Forschung etwa zur Solarenergienutzung gut aufgestellt, weniger gut jedoch bei der Nutzung dieser. Gibt es Pläne für ein neues Förderprogramm dazu?

Wir wollen Thüringen zum “Grünen Motor” Deutschlands machen. Dafür brauchen wir zweifelsfrei wieder ein Landesförderprogramm. Die Althaus-Regierung hat das auf Null gesetzt. Thüringen verkauft seine Solarzellen in alle Welt. Sie auch hier einzusetzen, da ist viel mehr möglich. Auch auf öffentlichen Gebäuden passiert da zu wenig.

Gunter Sieberth: 2012 läuft die Theater- und Orchesterfinanzierung des Landes aus. Wie ist es dann um die reichhaltige Kulturlandschaft bestellt?

Es gibt Studien, die beweisen, dass jeder Euro, der in die Kultur gesteckt wird, mehrere Euro in der Wirtschaft hervorbringt. Wir brauchen diese Kulturlandschaft und müssen sie erhalten.

Edeltraut Suppe: Die SPD hat Hartz IV mitbeschlossen, Sie reden von Gerechtigkeit. Wollen Sie Hartz IV zurücknehmen?

Die Grundentscheidung ist für mich nach wie vor richtig. Aber: Die Job-Angebote für Langzeitarbeitslose reichen noch nicht. Die Kommunen könnten mehr Beschäftigung über den Kommunal-Kombi schaffen. Doch in Thüringen fehlt da die Unterstützung durch das Land.

Aufgeschrieben von Angelika Schimmel und Lutz Prager
Quelle: Ostthüringer Zeitung

 

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